Gentechnik: DNA-Synthese und PCR

Gentechnik: DNA-Synthese und PCR
Gentechnik: DNA-Synthese und PCR
 
Chemische DNA-Synthese
 
DNA ist als Erbsubstanz ohne Zweifel ein ganz besonderer Stoff. In eine Zelle eingebracht, ist eine DNA in der Lage, für ihre eigene Verdopplung zu sorgen, wobei die zelleigenen Strukturen und Enzyme veranlasst werden, die einzelnen Prozesse, die zur Verdopplung nötig sind, durchzuführen. Es ist deshalb schon ein merkwürdiges Gefühl für jeden Genetiker, dass dieser Stoff, der alles Lebendige steuert, mit einer relativ einfachen chemischen Synthese »im Reagenzglas« hergestellt werden kann.
 
Schon im Jahre 1972 gelang Har Gobind Khorana und Mitarbeitern die vollständige Synthese des Gens für eine kurze Transfer-RNA. Historisch gesehen gibt es mehrere chemische Verfahren, wie sich sowohl die Nukleotide (Bausteine der Nukleinsäuren) als auch die eigentliche DNA synthetisieren lassen. Das entscheidende Ziel, die Herstellung einer Polynukleotidkette mit vorherbestimmter Basensequenz wird heute routinemäßig erreicht. Die Synthese relativ kurzer DNA-Moleküle (< 100 Basen) dauert mit Syntheseautomaten wenige Stunden.
 
Die Zelle oder ein Organismus unterscheidet nicht zwischen natürlicher oder synthetischer DNA. Die chemische DNA-Synthese hat in vielen gentechnischen Verfahren eine wichtige Bedeutung erlangt. Neben der Synthese völlig neuer Gene, die nach Belieben des Wissenschaftlers am Computerbildschirm entworfen werden, spielen vor allem relative kurze Oligonukleotide als Primer in der Sequenzierung oder in der Polymerasekettenreaktion, als Sonden für Hybridisierungen und als Bestandteile von DNA-Chips eine entscheidende Rolle.
 
Ähnlich wie die DNA-Sequenzierung ist die chemische DNA-Synthese für die Entwicklung der Gentechnologie ein großer Schritt nach vorn gewesen. Viele revolutionäre Techniken wie etwa die Polymerasekettenreaktion oder die DNA-Sequenzierung in ihrer heutigen Form wären ohne die Möglichkeit, nach Belieben bestimmte DNA-Sequenzen herstellen zu können, nicht möglich gewesen. Es gibt deshalb so gut wie kein molekulargenetisches Laboratorium, in dem nicht chemisch hergestellte DNA-Moleküle eingesetzt werden.
 
 Die Polymerasekettenreaktion (PCR)
 
Im Jahre 1993 hat der amerikanische Wissenschaftler Kary B. Mullis den Nobelpreis in Chemie für die Erfindung der Polymerasekettenreaktion (englisch: polymerase chain reaction, PCR) erhalten. Die Vergabe des Nobelpreises für die Erfindung einer Methode unterstreicht die besondere Bedeutung des Verfahrens. Die Polymerasekettenreaktion ist raffiniert und einfach zugleich: Sie macht es möglich, einen bestimmten DNA-Abschnitt, beispielsweise ein Gen aus einer sehr langen DNA oder auch aus einem DNA-Gemisch selektiv im Reagenzglas milliardenfach in wenigen Stunden zu vermehren (In-vitro-Amplifikation). Sie ist damit eine schnelle und überaus kostengünstige Alternative zur DNA-Klonierung. Voraussetzung ist allerdings, dass Teile der zu vermehrenden DNA in ihrer Basensequenz bekannt sind. Bei der Polymerasekettenreaktion wird von einem doppelsträngigen DNA-Molekül ausgehend eine DNA-Synthese von gegenüberliegenden Startpunkten (Primern) aus durchgeführt, die zu einer Verdopplung beider DNA-Stränge führt. Diese beiden neuen DNA-Moleküle enthalten ihrerseits wieder die passende, das heißt die komplementäre Sequenz zu dem jeweils gegenüberliegenden Primer. Von jedem Primer aus wird ein einzelsträngiges DNA-Molekül synthetisiert, an dem der jeweils gegenüberliegende Primer wiederum bindet. Dabei werden sowohl der DNA-Abschnitt, der zwischen den beiden Primern liegt, als auch die Primerbindungsstellen verdoppelt. Durch Erhitzen auf über 95 ºC werden die bei der Synthese neu entstandenen DNA-Doppelstränge wieder getrennt, die im Überschuss vorhandenen Primermoleküle binden nach Abkühlung sowohl an die alte wie auch die neu synthetisierte DNA und die DNA-Synthese beginnt erneut. Bei dem erneuten Syntheseabschnitt wird die Matrizen-DNA wieder verdoppelt. Der ganze Vorgang kann nun beliebig oft wiederholt werden und bei jedem Wiederholungsschritt kommt es zu einer weiteren Verdopplung des entsprechenden DNA-Abschnitts.
 
Für die praktische Durchführung hat der Erfinder der Methode noch einen zusätzlichen Clou eingeführt. Um überhaupt eine DNA-Synthese in vitro durchführen zu können, müssen außer dem Primer und den Vorstufen der DNA-Bausteine auch noch eine DNA-Polymerase und die an sich doppelsträngige Matrizen-DNA in einzelsträngiger Form vorhanden sein. Die einzelsträngige Form ist notwendig, um die Bindung der Primer an den Matrizenstrang zu ermöglichen und um der DNA-Polymerase eine ungehinderte DNA-Synthese zu erlauben. Um eine doppelsträngige DNA einzelsträngig zu machen, muss die DNA-Lösung auf über 95 ºC erhitzt werden. Darin lag bei der Durchführung der Polymerasekettenreaktion anfangs ein Problem, denn DNA-Polymerasen aus normalen Organismen, etwa die für die In-vitro-DNA-Synthese normalerweise verwendete DNA-Polymerase I aus E. coli, werden bei einer solchen Temperatur zerstört. Da nach jedem Syntheseschritt eine Erhitzung stattfinden muss, hätte für jeden Synthesezyklus die sehr teure DNA-Polymerase neu zugesetzt werden müssen. Um diesem Problem zu entgehen, wurde statt einer E.-coli-DNA-Polymerase ein vergleichbares Enzym eingesetzt, das aber aus einem thermophilen (Hitze liebenden) Bakterium, Thermus aquaticus, stammt. Solche thermophilen Bakterien leben in heißen Quellen oder in der Nähe von Unterwasservulkanen und können teilweise Temperaturen von weit über 100 ºC ohne Schaden überstehen.
 
Deshalb sind auch die Enzyme aus solchen Organismen hitzestabil. Die aus Thermus aquaticus isolierte DNA-Polymerase, die Taq-Polymerase, übersteht ein Aufheizen auf über 90ºC fast ohne Aktivitätsverlust und ist somit ein ideales Enzym für die Polymerasekettenreaktion. Sowohl die Taq-Polymerase als auch das PCR-Verfahren selbst sind patentgeschützt, und es gibt Gerüchte, dass alleine für diese Patente 300 Millionen Dollar von einem großen Pharmakonzern gezahlt worden sind.
 
Mit der Polymerasekettenreaktion ist es möglich, aus einem beliebigen DNA-Gemisch selektiv einen spezifischen Abschnitt zu vermehren. Die Stärken der Polymerasekettenreaktion liegen einerseits in der hohen Selektivität, mit der ein bestimmter DNA-Abschnitt aus einem DNA-Gemisch vermehrt (amplifiziert) wird, andererseits in der extremen Nachweisempfindlichkeit der Methode, mit der man prinzipiell in der Lage ist, noch ein einziges DNA-Molekül nachzuweisen. Die wohl wichtigste Anwendung der Polymerasekettenreaktion liegt im Bereich der medizinischen Diagnostik. Ist einmal bekannt, welches Gen beziehungsweise welche Mutation eines Gens für eine bestimmte Erkrankung verantwortlich ist, dann kann mithilfe der Polymerasekettenreaktion innerhalb weniger Stunden von kleinsten Gewebeproben eines Patienten das entsprechende Gen/Allel selektiv vermehrt werden. Mit dem so erhaltenen DNA-Abschnitt kann man dann eine DNA-Sequenzierung durchführen und eventuell die genetische Krankheitsursache feststellen. Dies ist nicht nur für Patienten mit einer akuten Erkrankung von Interesse, sondern auch für eine pränatale Diagnose oder eine genetische Familienberatung wichtig, um beispielsweise ein potenzielles genetisches Risiko einzuschätzen.
 
Ein weiteres sehr breites Anwendungsfeld der Polymerasekettenreaktion ist die molekulare Diagnose von Infektionskrankheiten beziehungsweise der sie verursachenden Krankheitserreger. Infektionskrankheiten werden durch Erreger hervorgerufen, die eine DNA oder RNA als Erbsubstanz besitzen (Ausnahme: Prionen). Ist eine für die Erreger-DNA/RNA spezifische Basensequenz bekannt, so kann mithilfe der Polymerasekettenreaktion festgestellt werden, ob dieser Erreger im Blut des Patienten vorhanden ist. Dabei wirkt sich die hohe Nachweisempfindlichkeit der PCR sehr positiv aus: Teilweise reichen wenige Erreger, um einen positiven Nachweis zu führen. Der PCR-Nachweis von Viren im Blut hat inzwischen auch große Bedeutung für die Überprüfung von Blutkonserven aus Spenderblut erlangt. Beispielsweise ist das Aids verursachende Human-Immundefizienz-Virus (HIV) durch die Polymerasekettenreaktion schon wenige Tage nach der Infektion im Blut eines Patienten nachweisbar, während der klassische Nachweis einer HIV-Infektion anhand der sich entwickelnden HIV-Antikörper erst etwa sechs Wochen nach der Infektion möglich ist. Nicht zu unterschätzen ist die Bedeutung der PCR-Analyse bei forensischen Untersuchungen: Jeder Mensch hat einen individuellen Satz an DNA-Abschnitten, der nur ihm eigen ist (Ausnahme: eineiige Zwillinge). Mithilfe der Polymerasekettenreaktion können Teile dieser individuellen (sozusagen persönlichen) DNA-Abschnitte schnell und spezifisch amplifiziert und anschließend analysiert werden. Wenn an einem Tatort oder an einem Opfer eines Verbrechens auch nur die geringsten körperlichen Spuren des Täters (Haare, Sperma bei Sexualverbrechen, Hautreste) zurückbleiben, kann mithilfe der Polymerasekettenreaktion festgestellt werden, ob die DNA eines Verdächtigen mit der DNA aus den Spuren am Tatort übereinstimmt.
 
Prof. Dr. Erwin Schmidt
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Gentechnik: Hybridisierungsverfahren
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Gentechnik: Bestimmung der Basensequenz
 
 
Berg, Paul / Singer, Maxine: Die Sprache der Gene. Grundlagen der Molekulargenetik. Aus dem Englischen. Heidelberg u. a. 1993.
 
Biotechnologie - Gentechnik. Eine Chance für neue Industrien, herausgegeben von Thomas von Schell und Hans Mohr. Berlin u. a. 1995.
 Brown, Terence A.: Genomes. Oxford 1999.
 Brown, Terence A.: Gentechnologie für Einsteiger. Aus dem Englischen. Heidelberg21996. Nachdruck Heidelberg 1999.
 Brown, Terence A.: Moderne Genetik. Aus dem Englischen. Heidelberg 21999.
 
Gentechnik. Einführung in Prinzipien und Methoden, herausgegeben von Hans Günter Gassen und Klaus Minol. Stuttgart u. a. 41996.
 
Gentechnische Methoden. Eine Sammlung von Arbeitsanleitungen für das molekularbiologische Labor, herausgegeben von Hans Günter Gassen und Gangolf Schrimpf. Heidelberg u. a. 21999.
 Glick, Bernard R. / Pasternak, Jack J.: Molekulare Biotechnologie. Aus dem Englischen. Heidelberg u. a. 1995.
 Ibelgaufts, Horst: Gentechnologie von A bis Z. Studienausgabe Weinheim u. a. 1990. Nachdruck Weinheim u. a. 1993.
 Newton, Clive R. / Graham, Alex: PCR. Aus dem Englischen. Heidelberg u. a. 21997.
 Nicholl, Desmond S.: Gentechnische Methoden. Aus dem Englischen. Heidelberg u. a. 1995.
 Winnacker, Ernst-Ludwig: Gene und Klone. Eine Einführung in die Gentechnologie. Weinheim u. a. 1984. Veränderter Nachdruck Weinheim u. a. 1990.

Universal-Lexikon. 2012.

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